Offener Brief zur Bundestagswahl 2025

an Christian Lindner, Friedrich Merz und alle, die ernsthaft an einer friedens- und zukunftsfähigen Politik, Wirtschaft und Gesellschaft interessiert sind

Ein Notschrei an Politik und Gesellschaft:[1]

X2 =?…

„Es ist schon sehr spät: Springen Sie über Ihre Schatten!“

(Der Text wurde ohne Lektorat und unter Zeitdruck geschrieben und kann somit noch Rechtschreibfehler enthalten)

17. Februar 2025

(Aktualisiert am 20.und 21.2.2025 mit P.p.s- “Zugabe”: X2 =?)

Bundestagswahlkampf. Ein düsterer Schatten hat sich über unsere Gesellschaft gelegt. Darunter brodelt es, wie Oskar Negt schon lange vergeblich gewarnt hatte.[2] Mit gewaltigen Ausbrüchen ist zu rechnen, wenn nun nicht systematisch, vernünftig und gemeinsam gehandelt wird. Es ist schon sehr spät! Menschen hören sich nicht (mehr?) zu und halten sich gegenseitig für Idioten, sagt der Soziologe Hartmut Rosa.[3]

„Wir brauchen einen handfesten Streit um die Zukunft unsere Gesellschaft“, sagte Ihr Parteikollege Lothar Späth bei einer Buchvorstellung[4] am 13. März 2000 in Berlin, Herr Merz. Eine ernsthafte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit gegnerischen Argumenten (wie z.B. von der Arbeitsgruppe Alternative Wirtschaftspolitik, Pierre Bourdieu, Oskar Negt, Friederike Habermann Frigga und Wolfgang Fritz Haug) hat meines Wissens nie stattgefunden. Auch in ihrem Buch „Mehr Kapitalismus wagen“, werden Sie, Herr Merz, Ihrem Anspruch in keinster Weise gerecht, „einen Beitrag zur Versachlichung und Vertiefung unserer wirtschafts- und sozialpolitischen Diskussion zu leisten.“[5]

Argumente der „linken“ Gegenseite finden sich nicht (neben ein paar Seitenhieben auf die SPD) z.T. ohne Namen und Quellenangabe. Mehr als klischeebehaftete  Vorurteile habe ich nicht gefunden. Die fundierten Argumente der „vermeintlichen Gegenseite“ kennen Sie offensichtlich gar nicht! SPD und Grüne haben unter Gerhard Schröder (und seinem damaligen Kanzleramtschef Frank Walter Steinmeier) zu einem guten Teil das umgesetzt, was Sie., Herr Merz und Herr Lindner wollen (siehe dazu das Lob des neoliberalen Ökonomen Milton Friedman im SPIEGEL-Interview). Was würde Oskar Negt dazu sagen, der leider vor einem Jahr verstorben ist und der vom Bundespräsidenten für seine Verdienste um die Demokratie hochgelobt wurde?[6]

Auf welcher Seite stehen Sie im Ernstfall, Herr Merz, Herr Lindner, Herr Scholz, Frau Baerbock, Frau Wagenknecht, Herr Steinmeier?

Ihren guten Willen will ich Ihnen ja gar nicht absprechen, aber haben Sie sich schon einmal ernsthaft mit den Arbeiten Oskar Negts zu Demokratie beschäftigt? Ich fürchte: „nein“. Das kann uns sehr teuer zu stehen kommen, wenn Sie nicht schnellstmöglich zur Besinnung kommen. Denn die Wirtschaftstheorie, auf die Sie sich beziehen, Herr Merz, Herr Lindner (und all die anderen „Real-„ Politiker und -Politikerinnen, aber auch die Volkswirtin und „Ordoliberale“ Alice Weidel) widerspricht nicht nur in ihrem Kern dem Kodex der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) zu guter wissenschaftlicher Praxis.

[Hier geht es vor allem um die “Erfindung Verfälschung” von Daten”; siehe Leitlinie 19, wobei Professor Dr. Dr. hc. Joachim Starbatty gar nichts “verfälscht”, sondern dieses Vorgehen des Erfindens von Daten als Standard und normale “Methode” der “modernen” ökonomischen Wissenschaft vorstellt (das dann der Politik als “exakte wissenschaftliche Erkenntnis” vorgesetzt wird); siehe Vorlesungsskript SoSe 2000 im Anhang und Jürgen B. Donges´ offensichtlich empörte Kritik an vermeintlich ignoranten Politikerinnen und Politikern und Organisationen, sich den “sozial Schwachen” verpflichtet fühlen und “die ökonomische Wissenschaft” übergehen, die doch “weiß”, dass es keine bessere Welt als die der “freien Markt-Konkurrenz” geben kann].

Es ist noch viel schlimmer: die politische Umsetzung als „Wirtschaftspolitik“ untergräbt (in Kombination mit den wirtschaftlichen Dynamiken) die Fundamente der Demokratie!

Einschub (20.2.2025): Bei der PISA-Studie der OECD 2014 wurde untersucht inwieweit 15-jährige Schülerinnen und Schüler (…) “in der Lage sind, komplizierte Probleme kreativ zu lösen – und zwar jenseits des erworbenen Schulwissens. Dies erfordert die Fähigkeit, `um die Ecke´ denken zu können.“ und das Vermeiden einfacher „Entweder-Oder-Lösungen.“… (Vgl.: TK 2021: “Chancen für Alle im Raubtierkäfig?”, Abschnitt 4)

Viele Menschen reden nicht mehr miteinander und halten diejenigen mit anderer Meinung, die anders sind, für Idioten, so der Soziologe Hartmut Rosa. Die jeweils anderen „sollen das Maul halten.“[7] Wir müssen miteinander im Gespräch bleiben und auch ernst nehmen, was die anderen uns sagen wollen. „Die Würde des Menschen ist unantastbar“. Das ist das ethische Fundament unserer Gesellschaft. So respektiere ich Ihre Würde als Menschen, Herr Merz, Herr Lindner, Herr Habeck, Frau Wagenknecht und von wem auch immer in der Politik. Ich respektiere auch Ihre Würde als Mensch, Frau Weidel!

Wer andere Menschen nicht in ihrer Würde oder gar als Tiere betrachtet, ist nicht in der Lage, an einer konstruktiven und nachhaltigen Lösung für Probleme mitzuarbeiten. Denn wir Menschen haben ein Spektrum an Möglichkeiten in uns, sind aber im Grunde unseres Wesens gut. Und ich sage es bewusst: wer Adolf Hitler nicht als Mensch betrachtet, wird nicht in der Lage sein, solche Verbrechen zu verhindern, für die dieser  verantwortlich war. Der Psychologe Viktor Frankl sagte (wohlgemerkt als KZ-Überlebender):

„Menschliche Güte kann man bei allen Menschen finden, sie findet sich also auch bei der Gruppe, deren pauschale Verurteilung doch gewiss sehr nahe liegt. Es überschneiden sich eben die Grenzen! So einfach dürfen wir es uns nicht machen, dass wir erklären: die einen sind Engel und die anderen sind Teufel.“[8]

Wir müssen im Gespräch bleiben, zumindest alle Menschen, denen die Menschenwürde, der Frieden und der Erhalt unserer Lebensgrundlagen am Herzen liegen. Auch wenn es Widersprüche gibt und Ängste und gegensätzliche Positionen. Anders geht es nicht. Eine „Brandmauer“ muss zuallererst in uns selbst als einzelnen Menschen stehen und unsere humanistischen Werte schützen. Und dann müssen wir versuchen, auf vernünftige Art und Weise mit unseren Ängsten und den Widersprüchen in der Gesellschaft umzugehen, sowie mit den strukturellen Grundproblemen unseres Wirtschafts- und Gesellschaftssystems inklusive der vorherrschenden Denkweise in Dualismen und Freund-Feind-Bildern. Das ist eine wirklich große und harte Aufgabe für die gesamte Gesellschaft! Wir alle! Das gilt für alle Parteien „der Mitte“, für eher linke Parteien und für diejenigen, die von den etablierten Parteien enttäuscht sind, und auch für die, die sich aus Enttäuschung, Frust und Wut vielleicht gar der Alternative für Deutschland zugewendet haben.

Wichtig sind die Menschenwürde und der Erhalt unserer Lebengrundlagen. Wenn wir uns darin einig sind, dann können wir weiterreden und müssen im Gespräch bleiben! Dann können wir versuchen, mit den offenkundigen Widersprüchen – ohne plumpen Vereinfachungen und Schein-Lösungen und einfachen Sündenbock-Bildern – umzugehen und wirkliche Lösungen für strukturelle Probleme zu finden.

Ich bin überzeugt: Wir brauchen dafür eine Gesellschafts- und Wirtschaftsstruktur, die Gemeinsinn fördert und nicht Konkurrenz, Wettbewerb und Hass, wie es die Ökonomin und Historikerin Friederike Habermann anmahnt[9]. Anders kann es auf Dauer nicht gutgehen. Das war auch den christlichen Sozialethikern der CDU bewusst, die im Sommer 1947 das Ahlener Programm veröffentlichten und Ihren Kapitalismus, Herr Merz, als eine wesentliche Ursache der historischen  Katastrophen ausmachten.[10]

Auch Helmut Schmidt ahnte das, zumindest, als er – anlässlich der „geistig-moralischen Wende“ Helmut Kohls – 1982 vor dem „Weg in die Ellenbogengesellschaft“ warnte.[11] Seitdem haben alle Regierungen (ohne es zu beabsichtigen) den Weg weiter in diese Richtung gebaut und geebnet und die Basis für „Angst-Rohstoff“ geschaffen, der „politischen Schwarzmarktphantasien“ Tür und Tor öffnet (Oskar Negt). Die Basis dafür ist eine vermeintlich „exakte“ Wirtschaftstheorie, deren Modelle auf einem falschen und naiven Menschenbild aufbauen. Darauf wies der neoliberale (!) Journalist Nikolaus Piper schon vor 30 Jahren hin.[12] Es wird implizit davon ausgegangen, dass die Menschen ihren Lebensunterhalt schon haben und somit im Grunde angstfrei sind und so vollkommen frei und unbefangen an den „freien Märkten“ teilnehmen und handeln können. Wenn Menschen aber Angst haben, um ihr Überleben, ihren Lebensunterhalt und ihre Zukunft, sieht das Bild ganz anders aus. Zudem betrachten die Modelle nur „kaufkräftige Nachfrage“ und nicht die wirkliche Nachfrage, z.B. nach günstigem Wohnraum oder angstfreier Bildung. Die Grundlagen der „modernen Wirtschaftstheorie“ entbehren jeglicher Praxisrelevanz! Wer andere Menschen oder Menschengruppen verachtet, kann an konstruktiven Gesprächen um die Zukunft nicht teilnehmen. Die anderen müssen Widersprüche erst einmal anerkennen, sowie die eigenen Zukunftsängste. Dann können wir reden.

Ich habe Ihnen zugehört, Herr Lindner. Sie haben vollkommen Recht! Ich gebe Ihnen vollkommen Recht mit Ihrer Aussage auf der Landwirtschafts-Demonstration am 15.Januar 2024 in Berlin, als Sie sagten:

„Sie können mir doch nicht erzählen, dass Sie wegen des Agrardiesel hier sind. Es hat sich doch über Jahre und Jahrzehnte etwas aufgestaut.“[13]

Es hat sich etwas aufgestaut, nicht nur bei den Menschen aus der Landwirtschaft. In dieser Gesellschaft brodelt es! Genau davor hat Oskar Negt seit Jahrzehnten gewarnt. Es brodelt gewaltig!

Demokratie“, so Oskar Negt, „ist die einzige politisch verfasste Gesellschaftsordnung, die gelernt werden muss – immer wieder, tagtäglich und bis ins hohe Alter hinein.“[14] Oskar Negt hat sein Leben lang die Gesellschaft analysiert und sich für (politische) Bildung eingesetzt, um zu helfen, die Wiederholung historischer Katastrophen zu vermeiden. 

Leider hat „unsere Politik“ die Probleme nicht gesehen und Oskar Negt  nicht ernst genommen und die Mehrheit der Bevölkerung auch nicht, solange es gut lief…

Und sie sägten an den Ästen, auf denen sie saßen und schrien sich ihre Erfahrungen zu, wie man besser sägen könne. Und fuhren mit Krachen in die Tiefe. Und die ihnen zusahen beim Sägen schüttelten die Köpfe und sägten kräftig weiter.

Bertolt Brecht

Wir brauchen eine wirkliche geistig-moralische Wende um 180 Grad! Eine Wende, bei der „Geist“ und „Moral“ mehr sind als Floskeln.

Denen mit jeweils anderen Ansichten dürfen wir nicht per se bösen Willen unterstellen. Sie haben ihre Gründe dafür. Das müssen wir zunächst anerkennen.[15]Doch auch die eigenen Ansichten müssen hin und wieder hinterfragt werden, das gilt auch für meine Ansichten in diesem offenen Brief.

Aber bitte auf sachlicher und wissenschaftlicher Ebene!  Wichtig ist immer das ethisch-moralische Fundament, Artikel 1 des Grundgesetzes, dem ich noch die „Würde der Erde“ hinzufügen möchte. Denn ohne unseren blauen Planeten werden wir nicht überleben[16]!

Welche ethischen und moralischen Grundlagen haben Sie, Herr Lindner, Herr Merz, Frau Weidel und all die anderen?

Wollen Sie uns tatsächlich auf Basis einer Wirtschaftstheorie regieren, deren wichtigste Modelle theoretisch willkürlich mit „ahistorischen und unrealistischen“ Annahmen so konstruiert wurden, dass das gewünschte Ergebnis durch diese Annahmen vorherbestimmt ist, Herr Merz[17]? Ist das Wissenschaft? Ist es „völlig belanglos“, ob die Grundannahmen der Theorie der Realität entsprechen oder nicht, wie es Ihr ehemaliger Parteifreund Joachim Starbatty in seiner „Einführungsvorlesung“ einst meinte,[18] Frau Weidel?

Ist das belanglos, wenn solche willkürlichen Modelle der Politik als „wissenschaftliche Erkenntnisse“ präsentiert werden[19], Herr Merz, Frau Weidel, Herr Lindner, liebe Wirtschafts-Lehrerinnen und -Lehrer an den Schulen und all die anderen?

Welche Ethik vertreten Sie alle? Die sozialdarwinistische Auslese-Ethik einer vermeintlich „Neuen Sozialen Marktwirtschaft[20], die Lothar Späth in einem „handfesten Streit um die Zukunft unserer Gesellschaft“ verfechten und verteidigen wollte? Ist das der Kern Ihrer Politik auf Basis einer Theorie mit frei erfundenen „Erkenntnissen“? Ist das Ihre Interpretation von Artikel 1 des Grundgesetzes?

„Der Wettbewerb, jenes Prinzip von Vorstoß und Verfolgung, also die Jagd nach der möglichst besten und preiswerten Lösung, ist das  Zentrum des marktwirtschaftlichen Leitbildes. Beim Sport hat niemand Probleme damit. Das Prinzip, stets der höheren und besseren Leistung nachzujagen, wird dort allgemein akzeptiert. Da geht es um Zentimeter und Tausendstelsekunden. Das Publikum spendet brausenden Beifall. Nie käme es auf den Gedanken, dem Letztplatzierten etwa deswegen zu applaudieren, weil es sich um einen Alleinerzieher mit psychosozialen Problemen handelt. Beim Kampf um die sportliche Höchstleistung wird kein Pardon gegeben.“ (Peter Gillies 2000: marktwirtschaft.de, S.7)

„Demokratie funktioniert im Aggressionsmodus nicht“, sagt Hartmut Rosa ganz richtig.[21]

Wir können nur gemeinsam überleben, oder gar nicht! Wachen Sie auf und springen Sie über Ihre Schatten. Es ist schon sehr spät!


Zugaben:

20.2.2025

P.P.S.:

Innerhalb der Logik der modernen Wirtschaftstheorie scheint die Forderung nach immer mehr Freihandel und Wachstum völlig logisch. Daher forderte Pierre Bourdieu in seinem Buch “Gegenfeuer”, über Begriffe, nicht “mit Begriffen” zu reden. Folgt man Pierre Bourdieus soziologischer Kritik (und knüpft an die Selbstkritik Nikolaus Pipers an) , dann fällt m.E. mit dieser Logik “logischerweise” auch das gesamte Kartenhaus der modernen Wirtschaftstheorie zusammen.

Das Problem ist eben ein “Weltbild-Problem” wie zu Zeiten von Galileo oder Kopernikus.

Nach der Logik, der “modernen Wirtschaftstheorie”, die “Wettbewerb” in den Mittelpunkt stellt, (der in seiner Tendenz letztlich Unsicherheit und Hass schafft und in der Praxis damit das eigene implizite “angstfreie Menschenbild” als Theorie-Grundlage untergräbt), wurden jedoch die formalen Rahmenbedingungen und Regelungen der Weltwirtschaft gestaltet. Unter Stress und Angst fällt es schwerer, den notorisch letzten Skispringer Michael Edwards (“Eddie the Eagle”) sympathisch zu finden und ihm zu applaudieren, oder nur aus Spaß auf der Straße Fußball zu spielen, sich dabei zu vertragen und danach gemeinsam gemütlich zusammenzusitzen.

Wenn man statt “angstfreien Menschen, deren Lebensunterhalt gesichert” ist, in das Rechenspielchen David Ricardos die Komplexität der Welt einbezieht, (sowie die Arrgoganz der westlichen Wirtschaftswissenschaft und ihre Ignoranz gegenüber der eigenen Geschichte, z.B.: Kolonialismus und Sklavenhalterei), dann sieht das “Ergebnis” vollkommen anders aus. An “freien Märkten” haben Diktaturen aus naheliegenden Gründen “Wettbewerbsvorteile”. “Unser” westliches Modell wird sich nicht automatisch durchsetzen, weil es in den Augen einer ignoranten Wissenschaft (und bei Politikern, wie Merz, Lindner, Scholz) vermeintlich moralisch überlegen ist.

Und wie soll eine “nachholende Entwicklung” aussehen, von Ländern, die keine Kolonien haben und ihre ökonomische Entwicklung nicht auf Kolonialismus Ausbeutung und Sklavenarbeit aufbauen können?

Es macht ja Sinn, die komplexe Wirklichkeit gedanklich zu reduzieren, um Ausschnitte besser erfassen zu können (vgl. Starbatty 2000, S. 37, siehe das Dokument unter dem Text). Das macht vor allem für Menschen im Alltag Sinn, um verlässliche Routinen zu etablieren.

Solche Komplexitäts-Reduktion macht jedoch keinen Sinn in der Wissenschaft, vor allem, wenn solch ein “Paradigma” dann zum Monopol wird und damit den “Wettbewerb der Gedanken” (den es eigentlich befürworten müsste) systematisch ausschließt, zumal der Lebensunterhalt dieser vermeintlich “Wissen schaffenden” Ökonomen an den Universitäten auch noch vom Staat, (d.h. den Steuern zahlenden Menschen) finanziert wird!

Problematisch ist vor allem, dass das “Weltbild” der modernen Wirtschaftstheorie für das ökonomische Denken (und damit auch für “Real-Politik”) zur Norm wurde und vielfach mit gesellschaftlichen und ökonomischen Machtstrukturen verwoben ist.

In der komplexen Realität kann nicht mal schnell eine Variable geändert werden, wie in einer von Zeit- und Handlungsdruck entlasteten “Denk-Spielerei” vermeintlich “exakter Wissenschaft”!

Ich kann doch nicht ernsthaft wissenschaftlich die eigenen (!) Regeln ignorieren (Ceteris Paribus-Klausel) , eine Gleichung aufstellen: X2 = Y und dann einfach pauschal behaupten, Y sei immer 1, egal ob für “X” die Zahlen 1, 5, 25 oder 193 (Mitgliedsstaten der UNO) eingesetzt werden.

Die “modernen” Ökonomen (in der Mehrzahl Männer) tun das aber: die “freie Marktwirtschaft” (in ihrer Definition) bringt demnach immer das beste Ergebnis”. Das behauptet auch Friedrich Merz (der sich ganz offensichtlich auf diese offensichtliche “Pseudo-Wissenschaft” verlässt) gegenüber Luisa Neubauer bei Markus Lanz (Minute 3:20ff) und weiter: “Wir müssen auch die Ökonomen ernst nehmen. Das sind auch Wissenschaftler!” (Minute 3:27ff; aufgerufen am 20.2.2025).

“X2 = der freie Markt ist immer am Besten!” (Das ist nach der “modernen” Wirtschaftstheorie “exakt mathematisch begründet”, also quasi die Quadratur des sch…

…wer Begründbaren…)

“X2 = der freie Markt ist immer am Besten!”

Genau das ist Jürgen Bernardo Donges´ Aussage (und von einem ein Großteil seiner “Politik-beratenden Kollegenschaft, wie Lars P. Feld und anderen; siehe zu Donges das Dokument unten: Bundeszentrale für politische Bildung/Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft), wo er schreibt, “Ricardos Vermächtnis von den Vorzügen der internationalen Arbeitsteilung und, so wird man heute ergänzen, des freien Kapitalverkehrs (Hervorhebung T.K.) ist immer wieder von verschiedenen Seiten in Frage gestellt worden.”

In Frage zu stellen und zu bekämpfen ist menes Erachtens vor allem die Ignoranz der “modernen Ökonomie” gegenüber dem wirklichen Leben, seiner Komplexität und vor allem der Einfluss dieser falschen “mathematisch exakten” Theorie auf ihren Gegenstand, den sie nur zu “beschreiben” vorgibt

(Siehe dazu mein Text “TINA-Prinzip und TINA-Positivismus“).

Wohl alle aus der (den politischen Ton angebenden) sogenannten “modernen Wirtschaftswissenschaft” verschweigen, dass sie sich selbst zu “Komplizen der Sachzwänge” (Bourdieu) gemacht haben (z.B. Christian Lindners Berater Lars P.Feld) , die sie zum Teil selber beeinflusst (oder gar mit formuliert) haben, wie die so genannte “Schuldenbremse” im Grundgesetz: “Die ökonomischen Kaiser sind nackt!”

Ach so: und nebenbei apropos “ethische Brandmauer“:

am Tübinger Lehrstuhl des ehemaligen Vorstitzenden des wissenschaftlichen Beirats der AfD, Joachim Starbatty, wurde ein Computer-Planspiel entwickelt, in dem es (wie bei Ricardo) nur 2 Länder und 2 Güter gibt und keine Gewerkschaften.

Ein wichtiges Lernziel (nach der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft): den Arbeitslosen das Geld kürzen, damit sie Anreize zum Arbeiten haben:

Die Schülerin Maureen K. würde demnach “beispielsweise, nachdem sie das Planspiel gespielt hat, als »wirtschaftspolitischer Berater der Regierung« dem Bundeskanzler raten, das Arbeitslosengeld zu senken. »Warum? „Die Bereitschaft zu arbeiten, wäre bei den Leuten sicher größer“ antwortet die Schülerin, die Dank des Spiels künftig verstärkt den Wirtschaftsteil der Zeitung lesen will.«” (Heilbronner Stimme 1999, zitiert nach ASM-Bulletin 1999/2, Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft, Tübingen).

Empfohlen wird das (Ende der 1990er Jahre am Lehrstuhl des späteren und nun ehemaligen AfD-Mitglieds Joachm Starbatty entwickelte) Planspiel – sicher “nach bestem Wissen und Gewissen” vom jüngst verstorbenen Bundespräsidenten a.D. Horst Köhler, der das Planspiel empfiehlt, um die komplexe Welt besser verstehen zu können:

Wer die Welt verändern will, muss sie verstehen. Das wird angesichts der zunehmenden globalen Interdependenz immer schwieriger. Noch nie zuvor waren unsere Wirtschafts- und Sozialsysteme so eng miteinander verwoben wie heute. Das MACRO-Planspiel der Aktionsgemeinschaft Soziale Marktwirtschaft e.V. stattet junge Menschen mit dem notwendigen ökonomischen Handlungswissen aus und hilft ihnen die Zusammenhänge einer globalisierten Welt zu erkennen.

(aufgerufen am 20.2.2025).

Dieses “Planspiel ohne Gewerkschaften” wird auch vom deutschen Bildungsserver empfohlen (aufgerufen am 20.2.2025),

sowie von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung (aufgerufen am 20.2.2025).

Hinsichtlich des “Markt-Wettbewerbs” (den Peter Gillies bewusst so allgemeinverständlich formuliert hat) gibt es offensichtlich keine “ethisch-moralische Brandmauer” oder wissenschaftliche Redlichkeit.

Der “Markt-Wettberb” garantiert ja in diesem Weltbild den “Wohlstand” (in der Definition:Wohlstand = in erster Linie: Wachstum und mehr Konsum”).

Der Soziologe Niklas Luhmann schreibt in seinem Buch “Die Wirtschaft der Gesellschaft” (1994, Suhrkamp, S. 100), dass die “unsichtbare Hand des Marktes” schon früh “unter Arthrose” zu leiden begann:

Man gab die Annahme einer Mengenkonstanz auf, um durch die Art der Allokation ein Mengenwachstum produzieren und zugleich diejenigen, die dabei zu kurz kommen, abfinden zu können. Den Politikern und der öffentlichen Meinung wird folglich suggeriert, Wirtschaftswachtum sein notwendig, sei eine Bedingung gesellschaftlicher Stabilität.

Es lohnt sich, diese Luhmann-Kritik an der “modernen Wirtschaftstheorie” weiter anzuschauen:
Oft findet man Aussagen, wie: Das Prinzip der Marktwirtschaft ist der Wettbewerb. Angeschlossen werden Bekenntnisse und politiche Empfehlungen. Die Wirtschaftswissenschaften verstehen sich als praktische Wissenschaften. Weniger deutlich ist, wie man feststellen kann, ob eine Situation noch dieser Anforderung entspricht; und vollends unklar ist, welchen empirischen Status das hat, was hier Prinzip genannt wird.”

Auch dem Gegensatz “Markt-Staat” wendet sich Luhmann zu (S. 113) und zeigt auf, dass es mehr Sinn macht, als Gegenbegriff zu “Marktwirtschaft” “nicht Planwirtschaft und nicht Staatstätigkeit, sondern Subsistenzwirtschaft” ins Auge zu fassen.

Auch mit dem Freiheits-Begriff der Wirtschaftstheorie setzt sich Luhmann auseinander: (S.113):
In diesem Zusammenhang wird man ein weiteres Vorurteil revidieren müsssen, das aus der liberalen Ideologie stammt und besagt, daß die sich selbst regulierende Marktwirtschaft ein Höchstmaß an Freiheit in der Realisierung individueller Bedürfnisse (…) gewährleiste.”

Die Unterschiede zwischen einem “frei” zustande gekommenen Preis und einem festgesetzten Preis seien marginal, “es sei denn, daß man Freiheit verstehen will als Unwrkennbarkeit der Ursache von Freiheitsbeschränkungen.” (S. 113)

Zu erklären ist das Festhalten so vieler Menschen an dieser “Theorie-Ideologie” m.E. nur mit dem “Weltbild-Problem”. Die Beteiligten können sich in ihrem “Machbarkeits-Denken” keine andere Welt vorstellen (wie es einst die mexikanischen Zapatist@s formulierten). Oskar Negt meinte dagegen, wir sollten nach dem “Möglichen” suchen und beendet sein Buch “Der politische Mensch. Demokratie als Lebensform” mit dem Satz (der auch ein Buchtitel Ingrid Kurz-Scherfs ist):

“Nur noch die Utopien sind realistisch!”

(Danke Friederike Habermann für den Hinweis auf den Buchtitel von Ingrid Kurz-Scherf!)


19.2.2025

P.S.:

Es geht mir nicht darum, Freihandel per se zu verteufeln. Freihandel kann gut sein, muss aber nicht und er war für viele arme Länder katastrophal.

Mir geht es um nachvollziehbare, saubere wissenschaftliche Erkenntnisse und Methoden – die für das wirkliche Leben relevant sind – im Gegensatz zu vermeintlich “exakten” Rechenspielchen, die nur zur Verschleierung einer vorher feststehenden Ideologie als Deckmantel dienen, um “Dinge zu rechtfertigen, die nicht zu rechtfertigen sind”, wie es Pierre Bourdieu in “Gegenfeuer” formulierte.

Wohlstand” wird in dem Modell nur als immer mehr Konsum definiert. Soziale Errungenschaften (wie geregelte Arbeitszeiten, Urlaub oder Kündigungsschutz), aber auch Umweltschutz oder “Lieferkettengesetze”, gefährden nach diesem Modell solchen “Wohlstand”. Dieser “Wohlstand” besteht im Modell somit ausschließlich darin: “immer mehr Wein zu saufen und immer mehr Kleidung zu kaufen”. Die Gültigkeit des Modells besteht nur “Ceteris paribus”, also unter genau den Variablen, die im Modell vorkommen. Jürgen Bernardo Donges fügt dem in seinem Text für die Bundeszentrale für politische Bildung/Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft, mal noch schnell “die Finanzmärkte” hinzu und behauptet allen Ernstes der Politik gegenüber, genau das seien wissenschaftliche Erkenntnisse!“Mir geht es um saubere wissenschaftliche Erkenntnisse und Methoden, im Gegensatz zu vermeintlich exakten Rechenspielchen, die nur zur Verschleierung einer vorher feststehenden Ideologie als Deckmantel dienen.

Das Ricardo-Theorem (aus dem Jahr 1817) wurde schon rund 100 Jahre vor Ricardos Rechenspiel empirisch (an Hand der Folgen des “Methuen-Vertrags” von 1703) widerlegt, worauf der Ökonom Mathias Binswanger in einem Diskussionspapier der Fachhochschule Nordwestschweiz (2008) hinweist: “Globalisierung und Landwirtschaft – Mehr Wohlstand durch weniger Freihandel. Diskussionspapier – Hochschule für Wirtschaft. FHNW
Siehe dazu auch der Wikipedia-Artikel zum Methuen-Vertrag.


[1] Vgl.: Das Interview mit Oskar Negt: „In dieser Gesellschaft brodelt es“: https://www.spiegel.de/spiegel/a-710880.html; 17.2.2025

[2] A.a.O

[3] Hartmut Rosa 2022: Demokratie braucht Religion, München: Kösel, S. 43ff

[4] Frankfurter Institut Stiftung Marktwirtschaft und Politik/Kronberger Kreis 2000: Presseinformation. Neuerscheinung aus dem Frankfurter Institut: „marktwirtschaft.de“ Bad Homburg, 13.3.2000

[5] Friedrich Merz 2008: Mehr Kapitalismus wagen. Wege zu einer gerechten Gesellschaft, S. 9

[6] https://www.bundespraesident.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2024/02/240203-Kondolenz-Negt.html; 17.2.2025

[7] Hartmut Rosa 2022: Demokratie braucht Religion.

[8] Viktor E. Frankl 2020 (Orig. 1977): Trotzdem Ja zum Leben sagen. Ein Psychologe erlebt das Konzentrationslager. München: Penguin 9. Auflage, S. 129

[9] https://keimform.de/wp-content/uploads/2016/06/Habermann_Ecommony.pdf; 17.2.2025

[10] https://www.kas.de/de/einzeltitel/-/content/das-ahlener-programm-der-cdu-der-britischen-zone-vom-3.-februar-1947; 17.2.2025

[11] Schmidt, Helmut 1982, in: Deutscher Bundestag. Stenographischer Bericht 115. Sitzung, Bonn, Freitag, den 17. September 1982: 7073; https://dserver.bundestag.de/btp/09/09115.pdfhttps://dserver.bundestag.de/btp/09/09115.pdf; 17.2.2025

[12] Mit Bezug auf Nicholas Georgescu-Roegen: Nikolaus Piper: Vor uns der Niedergang. In Nikolaus Piper (Hg.) 1996: Die großen Ökonomen. Stuttgart: Schäffer Poeschel

[13] https://www.christian-lindner.de/sites/default/files/2024-01/2024_Rede%20CL%20Gro%C3%9Fdemo%20der%20Landwirte.pdf; 17.2.2025

[14] Oskar Negt 2010: Der politische Mensch. Demokratie als Lebensform, S. 13

[15] Dies ist keine pauschale Entschuldigung für persönliche und politische Fehlentscheidungen. 

[16] Auch wenn Elon Musk anderer Meinung ist und viele seiner Fans die Dimensionen seiner „Mission“ und die dafür zwangsläufig notwendigen politischen Folgen gar nicht zu durchschauen vermögen.

[17] Professor Dr. Dr. hc. Joachim Starbatty: „Einführung in die Volkswirtschaftslehre“. Vorlesungsskript. Sommersemester 2000/Universität Tübingen, Seite 28

[18] A.a.O.: S. 29

[19] So in einem von der Initiative Neue Soziale Marktwirtschaft unterstützten Buch der Bundeszentrale für politische Bildung durch Jürgen Bernardo Donges 2006: Freihandel ist ein kraftvoller Wohlstandsmotor. In: Michael Hüther (Hg.) 2008):Klassiker der Ökonomie. Von Adam Smith bis Amartya Sen, Bonn: Bundeszentrale für politische Bildung,  S. 64-67

[20] Siehe dazu auch meine Rezension von Randolf Rodenstock „Chancen für Alle. Die Neue Soziale Marktwirtschaft“ in Das Argument 252, Heft 4/5 2003, S. 270ff; im Internet: https://www.linksnet.de/index.php/rezension/18946; aufgerufen am 16.2.2025

[21] Rosa, a.a.O.: 53